Manchmal gehen wohlgeglaubte Sicherungen im Leben verloren. Dann ordnet man sich neu, stellt sich von Vorne auf, und fängt wieder an, sich in neuen Sicherheiten einzurichten. Das mag nach schweren Lebenskrisen, wie Scheidung, Unfall, oder beruflichen Veränderungen der Fall sein.
Was aber, wenn der Glaube an das eigene ich in den Grundfesten erschüttert ist? Dann bedarf es intensiverer Maßnahmen. Eben dann, wenn das eigene Ich plötzlich fremd erscheint, wenn der Blick in den Spiegel nicht das wiedergibt, was man erwartet. Es blickt da eine fremdgewordene Hülle entgegen, mit der man sich nicht mehr identifizieren kann. Ein Alptraum, der durchaus im Leben eines jeden vorkommen kann. Dazu bedarf es noch nicht einmal der intensiven Kafka-Lektüre. Sie macht aber klar, worum es geht:
„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwacht, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“
Jüngst zu einer der schönsten Eröffnungen in einem Buch prämiert, mag dieser erste Satz von Kafkas „Die Verwandlung“ den Leser neugierig machen, für den Protagonisten des Buches Gregor Samsa läuft es nicht so gut: seine Selbstwahrnehmung ist zutiefst gestört, er hat sich in einen Käfer verwandelt.
Was ist also zu tun, bei solchen Identitätsverlusten. Für minderschwere Fälle, und für Leute, die nur im kleinen Rahmen mit sich fremdeln, sei hier das Stechen eines Tattoos nahegelegt. So kann beispielsweise ein entscheidendes Datum im Leben eines Menschen dauerhaft in den Körper eingraviert werden, oder ein bestimmtes Symbol oder Bild. Um so zeigen, daß das Erlebte bewältigt wurde. In dem man sich tätowiert, kann man zeigen, daß man in der Lage ist, selbst über sein Körper zu bestimmen. Letztendlich kann man sich wieder mit sich selbst anfreunden, sich neu begegnen. Dafür sind Tattoos eine wunderbare Maßnahme.
Nun aber zu den Fällen, bei denen die Identitätskrise soweit vorangeschritten ist, dass eine bloße Tätowierung nicht mehr ausreicht. Das eigene Ich im Spiegel ist so fremd geworden, dass derjenige, der sich da betrachtet, sich kaum wiederzuerkennen vermag. Dann kommt es oft zu drastischen Veränderungsprozessen, die selbst vor einem körperlichen Umbau nicht halt machen.
„Body Modification“ nennt sich diese spezielle Art der Veränderung, und es ist faszinierend, welche Möglichkeiten sich ergeben, wenn erst mal die psychischen Hemmnisse gefallen sind, sich körperlich zu verändern.
Dass jeder unter „Body Modification“ etwas anderes versteht, ist auch dem geschuldet, dass ein jeder unterschiedliche Grenzen hat, in wie weit er dauerhafte Veränderungen am Körper mittragen kann. Eine Definition kann sein: als permanente Körperveränderungen, die mit den Körper verletzenden Eingriffen beziehungsweise schmerzhaften Prozeduren verbunden sind. Sie sind dauerhaft und schwer rückgängig zu machen. Beispiele für Körpermodifikationen sind Tätowierungen, Piercings, Implants oder Scarifications. Letzteres sind Verzierungen, die aus Narben bestehen.
Da werden Zungen gespalten, um sich selbst mehr wie eine Echse zu fühlen. Es werden Implantate unter die Haut eingebracht, um die Körperform zu verändern. Oder wie wärs damit, das Weiß seines Augapfels zu kolorieren? Neueste Trends, nach denen es angesagt ist, sich die Nippel zu entfernen, oder gleich den ganzen Bauchnabel, sind da nur folgerichtig.
Die Grenze dessen, was in der Gesellschaft als normal gilt, verschiebt sich ständig. Waren früher noch Piercings durch die Nasenmitte, sogenannte Septum Piercings, ungewohnt und dadurch Gesprächsmittelpunkt, fallen sie heutzutage kaum noch auf. Oder die Vergrößerung der Ohrläppchen, da gibt es heutzutage kaum noch Entrüstung, zumal in der Großstadt. Beliebt sind auch kleine Hörnchen auf der Stirn, das macht ein teuflisches Aussehen. Für Elf-Ears wird ein kleiner Schnitt ins Ohr gemacht. Dann werden die zwei Teile spitz zusammen genäht. Fertig sind die Elfen-Ohren, die sich besonders bei jungen Mädchen immer mehr Beliebtheit erfreuen.
Grundsätzlich finde ich es gut, wenn jemand an einem Punkt der persönlichen Veränderung steht, und diese auch deutlich nach außen sichtbar macht. Wenn man bewußt eingreift in die Selbstwahrnehmung. Und in die Wahrnehmung, wie man für andere erscheint. Es geht es um die goldenen Mitte, die es zu finden gilt. Denn das Projekt der Selbstveränderung kann oftmals zur Selbstverstümmelung entarten. Und darauf ist intensiv hinzuweisen: denn rückgängig kann man viele der Veränderungen nicht mehr machen. Ein mahnendes Beispiel gibt Michael Jackson ab, der sich in einen kindlich weißen Peter Pan verwandeln wollte, und am Ende eher aus der Geisterbahn entstiegen schien. Tragische Selbstverstümmelungen? Auch der Trend in Asien sich seine Epikanthus-Falte am Auge operieren zu lassen, um so „europäischer“ zu wirken, sind falsche Zeichen. Das sollte mit Körpermodifikation nicht gemeint sein. Wenn „Body Modification“ cool und ästhetisch sein soll, dann respektiert sie grundsätzlich die körperliche Begebenheiten, und verändert sie nur mit Augenmaß und strengen Kriterien. Wie dann diese Kriterien aussehen, muss ein jeder selbst verantworten.