Bodypainting existentiell
Neben der Tatsache, dass Tattoos sich dauerhaft auf dem Körper einschreiben, sind sie auch eine Form der Körperbemalung. Und das Bemalen von Körpern ist ein grundlegend menschliches Bedürfnis, das schon bei den Steinzeitmenschen en vogue war. Diese benutzten Erdfarben, um sich selbst zu bemalen – die Tattoonadel war schlichtweg noch nicht erfunden. Erst viel später wurde mehr und mehr versucht, die Körperbemalung dauerhaft am und im Körper festzusetzen und zu integrieren. Alfred Métraux hat sich während seines Aufenthaltes auf der Osterinsel 1934 mit dem dort ansässigen Volk „Rapa Nui“ beschäftigt. Er erzählt über deren spezielles Verhältnis zum „Körperschmuck“: das Interesse am eigenen Aussehen definierten die Rapa Nui mehr über Tattoos als über Bekleidung.
Dort gab es Leute aus dem Volk, die sich extra auf das „Tatauieren“ spezialisiert hatten. Mit einem Haken aus Knochen, den sie zuvor in Pigmente eintauchten, wurde die Farbe mit einem Hammer in die Haut eingeklopft. Die Pigmente stammten aus der Kohle von Ästen und der Beimischung von Beerensaft des „schwarzen Nachtschattens“, einer sehr giftigen Pflanze. TOP
Das ganze Verfahren war sehr langwierig, es zog sich über Jahre. Mit der „Tatauierung“ wurde bereits im Alter von 8 Jahren begonnen. Die Sitzungen waren extrem schmerzhaft und gefährlich. Die Tattoos blieben so bei manchem Menschen der „Rapa Nui“ unvollendet.
Body – Soul – War
Die Körperbemalung folgt heutzutage eher lustvollen Motiven. Der Körper ist ein Objekt der Begierde, des Lebens und der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt. Seit der Hippiebewegung haben wir wieder zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Körper zurückgefunden; wir bemalen uns, wenn wir uns Verkleiden (body painting), wenn wir protestieren (Femen), und wenn wir uns mystisch und sexy geben wollen (Swingerklub?). Und für ein besseres Hautbild tragen wir eine heilende Schlammmaske auf. Schon ab 99 Cent im Drogeriemarkt.
Ein gänzlich anderer Aspekt ist die Körperbemalung, die dem Zweck der kriegerischen Auseinandersetzungen dient. Bei den Indianern zum Beispiel war und ist die Körperbemalung in Kriegszeiten von großer Bedeutung. Rote Farbe bedeutet so Erfolg im Krieg. Die blaue Farbe die Niederlage und die Schwierigkeiten mit dem Gegner.
Kriegsbemalung existiert in sämtlichen Kulturen dieser Erde. Die Germanen zogen oft komplett schwarz bemalt in den Kampf. Am stärksten wirkt es auf den Betrachter, wenn das Gesicht seines Gegners verfremdet ist. Denn dort im Gesichtsausdruck findet sich die individuelle Persönlichkeit wieder. Jetzt, bemalt, tätowiert, verändert, wirkt das Gesicht fremd und macht Angst. Die „schottischen“ Pikten färbten sich mit Waid ihre Gesichter, um im Kampf ein furchterregendes Aussehen zu erhalten. Caesar berichtet: „Alle Britannier färbten sich mit Waid, der eine blaue Färbung bewirkt … und hierdurch sind sie im Kampf so schrecklich anzusehen“.
Warface
Das Gesicht soll sich verfinstern, ein neuer Charakter zum Augenschein kommen. Ein furchteinflössender Charakter. Einer, der zu einer Person gehört, vor der man sich in Acht nehmen muss. Das ist psychologische Kriegsführung, die sich gewaschen hat; bzw. absichtlich aufgetragen wurde. Am bestem länger haltbar, denn Kriege können länger dauern. Deswegen sind Tattoos im Kriegsfall die beste Alternative. Sie kennzeichnen den langatmigen Krieger. Seit Menschengedenken gibt es Kriege. Streitigkeiten um Land, Ehre, Machthunger oder unterschiedliche Glaubensansichten waren schon immer Anlässe für kriegerische Auseinandersetzungen. Die entsprechende Tätowierung auf den kriegerisch erfahrenen Körpern geben davon Aufschluss – aber erzählen auch von all dem Leid, die der Krieg über die Menschen bringt.
Krieg und Frieden
Dialektisch gesprochen deuten die Kriegssymbole auf der Haut ebenso in die Gegenrichtung – in die Notwendigkeit von Frieden und Bewältigung von Krisen.
Tätowierungen, die den Krieg zum Thema haben, können auch als mahnende Symbole, als Verarbeitung von Schmerzen und Konflikten stehen. Die kriegerische Zeit war schrecklich, aber nun ist sie befriedet. Das Tattoo ist eine verheilte Narbe auf meiner Haut. Ein schweres, aber notwendiges Tattoo. Und eines, das die Heilung symbolisiert. Tattoos über den zweiten Weltkrieg zum Beispiel zeigen oft die Erinnerung an tote Kameraden oder Familienmitglieder. Sie sind Zeichen des Verlustes und auch der tiefen Abneigung gegenüber Gewalt. Kriege bringen immer Schmerz und Leid – für beide Seiten. So sind Kriegstattoos nicht selten auch ein mahnendes Motiv, das dem Betrachter die Schrecken und die Trauer solcher Ereignisse näherbringen soll. Das Tattoo ist ein dauerhaft, „lebendes“ Mahnmal gegen Gewalt. Eine solche Tätowierung ist daher auch eine der tiefsten und eindrucksvollsten Bekenntnisse für den Wunsch nach Frieden.
Krieg mag „Vater aller Dinge sein“ (Heraklit, 520 v. Chr. geboren). Doch er lässt sich bewältigen, von Tochter und Sohn: jeder Schmerz, sei er noch so groß, kann symbolisch überwunden werden – und es tauchen bessere Zeiten am Horizont auf.