„Der Mensch ist ein Seil, gespannt zwischen Tier und Übermensch“ (Friedrich Nietzsche)
Transhumanismus, Cyberpunk und Körperwelten
Humanismus heißt, dass der Mensch im Zentrum aller Überlegungen steht. Transhumanismus bedeutet in einem weiteren Schritt, dass der Mensch wie wir ihn kennen, abgeschafft wird, und im Anschluß neu-, bzw. umgestaltet wird. Verbessert, versteht sich.
Nietzsche kann mit seinem „Übermenschen“ als ein Vater des Urprinzips gesehen werden:
„der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss.“
Der zwiespältige Transhumanismus
Von diesem Punkt aus, gibt es zwei Deutungen:
Ist Transhumanismus eine Neugestaltung des Menschen, mit einem Endziel, unter das sich der bisherige lebendige Mensch zu unterwerfen hat?
Oder ist eine grundsätzliche Veränderbarkeit des Menschen gemeint, eine ständige Weiterentwicklung mit moralischen Eckpfeilern?
Für Nietzsche zählt, im Gegensatz zur landläufigen Meinung, letztere Sicht.
Endziel soll nicht der neue Super-Mensch sein. Es soll gar kein Endziel geben: Vielmehr geht es um die Dynamik, mit der der Mensch in der Jetzt-Zeit dominierende alte Konventionen und Normen abschüttelt, und so Eigenmächtigkeit erlangt. Er schafft eine eigene Position seiner Selbst, bringt sich in eine Erfahrungswelt, die ihn staunen läßt, die magisch ist, wie die Liebe. Wie eine Mondlandung in sich selbst.
Bestenfalls geht es also im Transhumanismus um eine Überwindung alter Muster – nicht um ein Endziel. Endziele provozieren den Untergang.
Man verläßt das „Menschlich, allzu menschliche“:
… dass Scheitern im Leben auch seinen Sinn haben kann, dass Umwege im Leben auch Inspiration bringen, und und und. Jedes Leben ist einzigartig.
Mensch am Ende?
Ist ein bestimmtes Menschenbild als Endziel anvisiert, folgt die Ausmerzung und die Verdrängung derjenigen Lebensläufe, die sich nicht anpassen (oder anpassen können). Die Gleichmacherei von Leben erzeugte stets das größte Scheitern in der Geschichte der Menschheit. Beispiele dafür, dürften bekannt sein. Transhumanismus als Ideologie führt in die Welt der Postapokalypse, die in der Kunst oft drastisch dargestellt wird.
Wenn der Mensch in seiner Hybris meint, immer größer, besser und optimierter zu werden, folgen darauf Monster, die er selbst erschaffen hat. Das können Mutanten sein, aber auch Robotermenschen, Mischformen, die sich ab einem bestimmten Punkt selbstständig machen, und den Menschen als niedere „unperfekte“ Form nicht mehr anerkennen und abschaffen wollen.
In einer solchen Welt lebt der Cyberpunk. Er ist ein „einsamer Kämpfer“, in einer Welt, die danach strebt alles gleich zu machen und zu optimieren. Widerstände in der Gesellschaft, die noch nicht gänzlich vereinnahmt ist, bringen viele Konflikte mit sich: Ghettos, Ausgeschiedene, halblebendige Wesen, die unter dem Radar leben. Die Welt des Cyberpunk ist nicht glänzend und steril-sauber, sondern düster und von Gewalt und geprägt. Cyberpunk ist eine Kritik gegen die Kommerzialisierung und Verstaatlichung – eine Staat, der die Menschen nach seinem Zweck umformt.
So wie wir Truthähne züchten, die besonders große Brustmuskeln haben, damit wir große Geflügelstücke essen können. Das geht soweit, dass die Tiere teilweise nicht mehr stehen können, sondern nach vorne umkippen. Damit wird das Tier entwürdigt – als reines Mittel zum Zweck. Es existiert nur noch, um auf dem Teller zu landen. Und in noch größerem Maße wäre ein gezüchteter Mensch ein entwürdigter Mensch. Er würde nur erschaffen, um die Erwartungen seiner Erzeuger zu erfüllen. Das wäre die Verzweckung des Menschen.
Cyberpunk ist Superpunk
Dieser Gesinnung will der Cyberpunk entgegentreten, und das mit den Worten Nietzsches:
„Das Individuum musste immer darum kämpfen, nicht von der Horde überwältigt zu werden. Wer es versucht, wird sehr oft einsam sein und manchmal voller Furcht. Doch kein Preis ist zu hoch für das Privileg, sich selbst zu gehören.“
In den dystopischen Zukunftswelten sind es die Cyberpunks, die die letzte Bastion des Individualismus verteidigen. Bis ins körperliche hinein. Ihre Körper sind ihre eigenen Erlebnisse, ihre Erfahrungen, und letztlich ihre eigene Spielwiese. Das ist es, was es zu erhalten gilt. Die Vielfalt!
Cyberpunks sind Subkultur. Tätowierte des Lebens. Tätowiert von den Geschichten ihres eigenen Lebens.
Von Nietzsche gibt es das Diktum, dass der Mensch seine alte Haut abstreifen muss, um in einer neuen Haut die Welt sinnlich zu erleben. Wie aber die neue Haut aussieht, das ist allein die Sache jedes einzelnen. Es sind seine eigenen Tätowierungen – immer künstlerischer Ausdruck eines Individuums. Zwangstätowierung ist etwas furchtbares. Die CyberSekte NXIVM in Amerika hat ihren Mitglieder, oft Hollywood-Schauspielerinnen , ihr Logo auf die Haut tätowiert, um sie so lebenslang an ihr Programm zu binden. Das ist Brainwashing. Das ist Transhumanismus der übelsten Sorte. Auf einen Transhumanismus, der die Menschenwürde zerstört, kann ich verzichten. Da habe ich lieber den alten Humanismus. Es geht beim Menschen immer um Freiheit und Würde: Bleiben diese aber gewahrt, warum sollte dann die Entwicklung des Menschen schon am Ende angelangt sein? Wir alle wollen Fortschritt: Diesen Weg gehen wir aber lieber in unserem Tempo. Mit unseren Vorstellungen. Mit unseren Bildern. Mit unseren Körpern. Und unseren ureigensten Verwandlungen.
Text: Julian Bachmann Grafik: Jonas Bachmann