Tattoo-Lexikon von Dirk-Boris Rödel
Die hinduistische Göttin Kali (Sanskrit für »Die Schwarze) scheint auf den ersten Blick eine äußerst negativ besetzte Gottheit zu sein; sie steht für Tod, Chaos und Zerstörung. Das ist jedoch nur eine Seite ihrer Erscheinung, denn zugleich steht sie auch für Erneuerung, die wiederum nur möglich ist, wenn Altes zuvor zerstört wurde, um Raum für Neues und für Wandel zu schaffen.
Besonders bei Frauen ist Kali aufgrund ihres wilden, unangepassten Charakters und ihrer Unabhängigkeit von Männern ein beliebtes Motiv. Kali wird zwar oft zusammen mit der männlichen hinduistischen Hauptgottheit Shiva dargestellt, doch ein indisches Sprichwort sagt: »Shiva ohne Kali ist Shava (leblos)«, was bedeutet, das Kali als diejenige angesehen wird, die der Beziehung Energie und Leben gibt.
Kalis Zerstörungswut richtet sich nicht gegen Menschen, sondern vor allem gegen Dämonen. Unter den anderen hinduistischen Göttern gilt sie quasi als Elite-Kämpferin gegen böse Dämonen und wird zu Hilfe gerufen, wenn diese sich keinen Rat mehr wissen. Den Menschen aber gilt immer ihre erhobene rechte Hand, die stets zu einem segnenden Mudra (Handsymbol) geformt ist.
Ähnlich wie unser »Sensenmann« wird auch Kali oft mit einer Sichel dargestellt, mit der sie den Lebensfaden durchtrennt, doch im Hinduismus verbindet man damit nichts Negatives, vielmehr ermöglicht Kali es den Verstorbenen, nach ihrem irdischen Leben auf eine höhere Ebene des Seins zu gelangen. Auch ein abgetrennter Schädel, den sie manchmal in einer ihrer acht Hände hält, wird oft missverstanden: Der abgetrennte Kopf steht nicht für Grausamkeit und Mordlust, sondern symbolisch dafür, dass Kali den Menschen dabei hilft, sich von ihrem Ego zu lösen.
(Text: Dirk-Boris Rödel / Grafik: Jonas Bachmann)