Fessle mich!

Fessle mich!
Fessle mich! Shiabari und die Kunst des Körpers

I.

Das japanische Bondage, aus dem sich die Kunstform Shibari entwickelt hat, beschäftigt sich mit dem Körper und dessen Figuration – auf sehr erotische Art und Weise. Im Gegensatz zu Yoga und Tanz geht es bei Shibari darum, Figuren mit dem Körper zu fixieren, indem man mit Seil und Knoten, die entsprechenden Teile zusammen schnürt (Bondage). Da dies alleine nur schwer gelingt, benötigt man dazu einen Partner, denjenigen der fesselt – im Shibari „Rigger“ genannt.

Statt also nur rein mechanisch und ohne Verbindung zueinander zu fesseln, steht beim sinnlichen Shibari-Fesseln das vorsichtige Berühren und die Balance zwischen Fallenlassen und Führen im Mittelpunkt. Der Gefesselte wird somit zum Gesamtkunstwerk zwischen Person und Seil, zwischen Aktion und Darstellung.

Auch Tattoos legen den Körper mittels Bildern fest, bezeichnen ihn. Mit einem Tattoo fixiert der Tätowierte ein emotionales Erlebnis, ein für ihn wichtiges Zeichen, Schrift oder Bildnis. Im Bondage wird ebenso ein Eingriff in die Art und Weise vorgenommen, wie ich meinen Körper üblicherweise und konventionell erlebe. So wird eine neue „Erfahrungsfigur“ geschaffen. Der Gefesselte erlebt sich neu und aufregend, befindet sich in einer Situation, in der er ausgeliefert ist. Er gibt Kontrolle auf, und lässt völlig neue Gefühle durch sich durchfliessen. Der Weg in den gefesselten Zustand ist bereits Hauptbestandteil dessen, was mit Hilfe der Fesselung erreicht werden soll. Der Prozess des Fesselns ist ein kommunikativer Akt, ein Austausch von Berührungen, Gefühlen und Sehnsüchten.

Die Rigger streben wie Tätowierer, bestenfalls, ein hohes künstlerisches Niveau an. Sie versuchen zwischen der Haltung des gefesselten Menschen und dem Seilmuster eine Einheit zu finden, und eine ästhetische Aussage zu schaffen.

Alles in allem, ein sehr meditativer Ansatz. Und eine intensive Möglichkeit, um Ruhe in einer unsteten Welt zu finden. Ursprung dieser Art von Bondage ist die traditionelle militärische Fesselkunst „Hoj jutsu“. Aber Shibari hat auch eine Entsprechung in den Lebensweisen der japanischen Klöster. Hier war die Fesselung Teil der Meditation, sowohl beim Fesselnden, als auch beim Gefesselten. Wie in den Steingärten, die mit dem Rechen unablässig geformt werden, dienen die Fesseln zur Strukturierung des Körpers.

Auch als Tattoo-Motiv wirken Shibari-Tattoos sinnlich und ästhetisch. Da die Tattoos sehr viele Details und grafischen Ausdruck benötigen, empfehlen wir, den Tattoos auch den entsprechenden Platz einzuräumen. Brust, Oberschenkel oder Rücken sind dafür gute „Leinwände“.

Bevor man sich aber ein Shibari Tattoo stechen läßt, sollten einige Regeln, Techniken und philosophische Gedanken von Shibari bekannt sein.

II.

Shibari heißt einfach übersetzt: „fesseln“ oder „binden“, gemeint ist die traditionell japanische Art. In Japan haben sich über die Jahrzehnte hinweg aus den Samurai-Seiltechniken zur Gefangennahme verschiedene Stile des Shibaris herausgebildet.
Es gibt Fesselkünstler, die am Boden fesseln (Floorwork), andere die in die Luft (Suspension) gehen.

Wichtig ist die psychische Komponente der Fesselung zu verstehen aus der sich dann die erotische und ästhetische Dynamik entwickelt. Die Fesselung ist eine Grenzerfahrungen am und im Seil. Durch eine wohldosierte Zunahme von Intensität nähert sich die fesselnde Person der physischen und psychischen Grenze des Gefesselten und arbeitet mit diesem Körper. Der Gefesselte braucht neben unerschütterlichem Vertrauen zur fesselnden Person auch den Wunsch und die Bereitschaft sich hinzugeben. Das erfordert von beiden Beteiligten eine tiefe innere Beziehung zueinander, Respekt und Achtsamkeit.

Gesellschaftlich kennt man Shibari auch als erotische Fotografie und Pornografie: mit dem Ziel, eine Dramaturgie, eine besondere Situation und einen intensiven Gefühlsausdruck abzubilden. Weltweit bekannt geworden ist der Künstler Nobuyoshi Araki.

Araki wurde 1940 als Sohn eines Schuhverkäufers in Tokio geboren. Er studierte Fotografie an der Chiba Universität Tokio, arbeite dann in der Werbung. Die Fesselung-Szenen sind ein Ausdruck seiner Sehnsucht. Er selbst sagt: „Ich umschnüre den Körper der Frauen, weil ich weiß, das ich ihre Seele nicht zu fesseln vermag. Binden lässt sich nur ihre Physis. Die Frauen zu umschnüren läuft in einem gewissen Sinne darauf hinaus, sie zu umarmen, zu lieben.“

Im Unterschied zu Pornographie, wie sie üblicherweise wahrgenommen wird, schafft Araki eine intime, aber auch brutal offene Erotik. Seine Frauen sind keine reinen Objekte, obwohl, oder gerade weil, sie sich hingeben. Ihr Wille dabei ist entscheidend. Dieser Wille der Hingabe ist in Arakis Fotos zu sehen. Lebendige Erotik – im Unterschied zu Fotographien, die ihre „Objekte“ wie aufgespiesste Insekten präsentieren.

Araki: „Alle Attraktionen des Lebens sind implizit vereint in einer Frau: Schönheit, Abscheu, Obszönität, Reinheit, Erniedrigung, Ekstase – viel mehr als man in der Natur finden kann. In der Frau ist der Himmel und das Meer, die Blume und die Knospe. Meine Frauen waren nie Objekte, sie sind Freiwillige.“

 

III.

Aber nicht nur in Japan hat sich Fesselung, Bondage und Schmerz als spezielle „Freiheit der Lust“ etabliert. BDSM ist eine spannende Reise körperlicher Erfahrungen und Ausdrücke. Überall gibt es Menschen, die aus Konventionen ausbrechen wollen. Kreative und manchmal auch spassige Disziplinierung statt politischer Druck und Auflagen.

Diese weite Feld beleuchten wir in den Anansi Chronicles mit einer Artikel-Reihe. So kommt der interessierte Leser in eine Welt, die viele Ideen und Möglichkeiten für Tattoos bereithält.

Mit der Vorsicht, die er lange erprobt hatte, griff er dem Wolf an die Kehle. Zärtlichkeit für den Ebenbürtigen stieg in ihm auf, für den Aufrechten in dem Geduckten. In einer Bewegung, die dem Sturz eines großen Vogels glich – und er wußte jetzt sicher, daß Fliegen nur in einer ganz bestimmten Art der Fesselung möglich war –, warf er sich auf ihn und brachte ihn zum Fallen. Wie in einem leichten Rausch fühlte er, daß er die tödliche Überlegenheit der freien Glieder verloren hatte, die Menschen unterliegen läßt. Seine Freiheit in diesem Kampf war, jede Beugung seiner Glieder der Fessel anzugleichen, die Freiheit der Panther, der Wölfe und der wilden Blüten, die im Abendwind schwanken.“
– Ilse Aichinger: Der Gefesselte

(by bacco / Julian Bachmann, Jonas Bachmann)