Seeungeheuer
auf dem Wasser und auf der Haut
Neulich auf dem Meer in Istrien, ich saß in einem Kanu inmitten der herum spielenden Wasserwellen, war es wiedermal so weit. Pure Unsicherheit überkam mich. Spätestens als ich die riesigen ockerfarbenen Quallen mit ihren kleinen violetten Tentakeln unter mir sah, die sich bedrohlich nahe an meinem Kanu aufhielten. Selbst die FKK-Nackten, die mir ständig mit ihrem SUP-Boards entgegenkamen, konnten nicht so ein „befremdliches“ Gefühl auslösen. Immerhin, man sah, dass Tattoos auch im Nudistencamp angekommen sind. Hier, weit entfernt vom Festland, auf dem Meer, was würde mich hier erwarten? Würde ich noch mehr Seeungeheuer treffen?
Kurz: Die Monster blieben fern, der Trip in die weite Weite des Meeres ging gut aus. Nach ein paar Stunden hatte ich wieder Boden unter den Füssen. Außer, dass der Kollege vor mir kenterte (und sich schnell wieder ins Kanu retten konnte) und das Meer dessen Sachen für immer verschluckte, ist nichts Unangenehmes passiert.
Ich musste an den Animationsfilm „Seeungeheuer“ denken, in dem die Seemänner gegen die unheimlichen Seemonster kämpften (Netflix 2022). Der Kapitän des Schiffes jagte manisch diesen einen roten Meeresdrachen, um diesen zu töten. Erst am Schluss kam heraus, dass das Seemonster gar nicht so böse war, wie die Menschen dachten. Es war vielmehr ihre eigene Angst vor der unbekannten Meereswelt, die all das Monströse rund um die Tiere entstehen ließ.
Riesige Kraken, Haie und Wale waren und sind schon immer Bewohner unbekannter Tiefe. Seit Jahrhunderten machen sie deswegen den Menschen Angst. Noch heute berichten Seeleute von mysteriösen Meereswesen.
Immer da, wo der Mensch sich fremd fühlt, wo er in eine unbekannte Welt aufbricht, spielt die Phantasie ihm Streiche. Und große Kraken werden riesengroß. So groß, dass sie ganze Schiffe zu Bruch bringen. Dort, wo die Natur mehr ist als ein Schrebergarten, und der Mensch sich mit ihr konfrontiert sieht, gerät er an seine Grenzen. Man kennt das auch von Moby Dick und Kapitän Ahab. Auch Kapitän Ahab jagt fanatisch den weißen Wal. Der Mensch malt sich das Schlimmste aus und sieht sich im existenziellen Kampf gegen die Natur. Bis er dem Monster, das er sich so plastisch ausmalt, nicht mehr entgehen kann. Kapitän Ahab, nach all den Kämpfen einbeinig, muss zum Schluss auf einem rekonstruierten Bein aus Walknochen laufen. Er ist mit dem Wal vereint.
Auch Tattoos können unseren Körper mit den Phantasien des Unbekannten verzieren. Mit solchen Tattoos ergibt sich eine Symbiose aus dem eigenem Körper und der ungewissen Tiefe der Natur. Ein Kraken-Tattoo zum Beispiel wird nicht nur mit den Geheimnissen des Ozeans und dessen Tiefe assoziiert, sondern mit der Tiefe der Welt und des Lebens im Allgemeinen. Die Tiefe ist so mit den Vorstellungen der Seefahrer oder des “normalen” Menschen verschmolzen, dass sie viele unheimliche Kreaturen entstehen lässt.
Es sitzt tief in der menschlichen Seele. Schon Homer erwähnte in der “Odyssee” die Riesenkrake Skylla. In der Meerenge von Messina soll sie 6 seiner Gefährten gefressen haben. Jahrhundertelang hat man solche Geschichten für Seemannsgarn gehalten, bis man jüngst echte Riesenkalmare entdeckte. Diese Meerestiere könnte ein Seemann, der sich einsam wochenlang auf hoher See befindet, tatsächlich für eine Monster-Krake gehalten haben. Zudem können sie bis 15 Meter lang werden. Der Riesenkalmar hat immer noch eine Aura des Geheimnisvollen. Noch weiss die Forschung nur wenig über ihn.
Oder gibt es vielleicht noch Riesen-Haie? Bei ihrem letzten Erscheinen vor 4 Millionen Jahren waren sie 18 Meter lang und hatten gigantische Zähne. Manche “Forscher” glauben, dass diese Tiere noch immer in der Tiefe des Meeres herum-gleiten. Ob das stimmt? Das kann heutzutage nur die Phantasie beantworten. Oder aber die Tattoos auf unserer Haut.
(Text: Julian Bachmann / Grafik: Jonas Bachmann / BACCO)